Studie: Gewitterwolken im Schweizer Detailhandel

Zürich Über dem Schweizer Detailhandel braut sich ein Unwetter zusammen. Neben Kostensteigerungen infolge der Corona-Pandemie bringen zum Jahresauftakt vor allem Lieferengpässe etliche Non-Food-Händler in Schwierigkeiten. Die Vorzeichen zeigten sich schon im wichtigen Weihnachtsgeschäft, wie eine Konsumentenbefragung der Strategieberatung Oliver Wyman belegt: die schlichte Nichtverfügbarkeit von Waren führte zu deutlichen Umsatzausfällen. So konnten 56 Prozent der Befragten ihr Wunschprodukt nicht finden. Die Folgen: Während im Lebensmittelhandel viele auf andere Produkte auswichen und zur Konkurrenz abwanderten, hat im Non-Food-Bereich ein erheblicher Anteil die geplanten Ausgaben ersatzlos gestrichen. Für viele Händler geht es in diesem Jahr um die Existenz, warnen die Handelsexperten von Oliver Wyman: Gerade für grosse Handelsketten im Bereich Elektronik, Textil oder Spielwaren erweist sich das auf Volumenstärke getrimmte Geschäftsmodell in der Krise als riskant. 

Seit der Vorweihnachtszeit scheinen für beliebte Produkte neue Gesetze zu gelten. Spielekonsolen, Haushaltsgeräte und Freizeitartikel etwa waren heiss begehrt, aber ungewöhnlich knapp – die Preise stiegen, vielerorts waren sie gar ausverkauft. «Die Menschen wollten sich etwas gönnen, aber fanden nicht, was sie suchten», sagt Nordal Cavadini, Partner und Handelsexperte bei Oliver Wyman. Eine Online-Befragung der Strategieberatung rund um den Jahreswechsel zeigt ein für den Handel alarmierendes Bild: Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Befragten in der Schweiz gaben an, dass ihre gewünschten Produkte nicht verfügbar waren. In diesem Fall verzichteten 24 Prozent der Enttäuschten auf den Kauf oder reduzierten zumindest ihre Ausgaben. «Das ist faktisch entgangener Konsum, der nicht mehr nachgeholt wird», sagt Cavadini. Auch in den Nachbarländern zeigt sich ein ähnliches Bild: So gaben 49 Prozent der Befragten in Deutschland und 54 Prozent in Österreich an, dass ihre gewünschten Produkte zur Weihnachtszeit nicht verfügbar waren.

Mit Blick auf die Nichtverfügbarkeit in verschiedenen Warengruppen liegen in der Schweiz die Elektroartikel mit 34 Prozent der Nennungen vorne, gefolgt von Spielwaren mit 28 und Textilien und Schuhen mit 26 Prozent. Zugleich trieb die Knappheit mitunter die Preise: Ein Drittel (33 Prozent) der Befragten nahmen diese als «spürbar gestiegen» wahr. 24 Prozent nannten Sorgen um die Zukunft als Grund für ihre Kaufzurückhaltung. 20 Prozent gaben als spezifisches Hemmnis an, dass stationäre Einkaufserlebnis in Corona-Zeiten als «weniger schön» empfunden zu haben.

Chipkrise bremst den Absatz von Elektroartikeln

«Es sind viele Negativaspekte, die sich in der Summe zu einem perfekten Sturm vor allem für den stationären Non-Food-Handel addieren», analysiert Handelsexperte Cavadini die Lage. Bei Lebensmitteln griffen die Verbraucher laut der Umfrage häufig auf alternative Produkte zurück, wenn einzelne Artikel nicht verfügbar waren. Besonders hart traf der Verzicht die Händler von Elektroartikeln. «Corona ist in den Regalen angekommen und führt zu substanziellen Problemen», sagt Cavadini. Einer der Gründe für die Engpässe in der Elektronikindustrie ist die Chipkrise, die auch in Automobilwerken zu einem Produktionsstau führt.

Coronabedingte Lieferprobleme entstehen zusätzlich durch Unterbrechungen der globalen Warenströme etwa infolge geschlossener Häfen oder Produktionsstopps bei Zulieferern. Hiervon betroffen sind neben Elektronikartikeln auch Spiel- und Textilwaren, da sie häufig über globale Lieferketten verfügen. Im Lebensmitteldetailhandel führen Konflikte zwischen Anbietern und Händlern zu Liefer- und Bestellstopps  und damit zu Lücken im Sortiment. «Eine Reihe von Einzelereignissen haben aufgrund der heutigen Globalität der Lieferketten das Gesamtsystem aus dem Gleichgewicht gebracht. Das bringt nun auch den Schweizer Detailhandel in Bedrängnis», bestätigt Cavadini. Die Folgen sind teils dramatisch: «Insbesondere für traditionelle Händler haben sich Anpassungsdruck und -geschwindigkeit nochmals erhöht. Einige Unternehmen müssen ihr Geschäftsmodell zügig und umfassend überprüfen oder sogar restrukturieren, obwohl sie in normalen Zeiten noch mehrere Jahre gut und strategisch tragfähig aufgestellt gewesen wären.»

Kostendruck durch Pandemiebekämpfung

Die kritische Lage der Händler setzt sich für Cavadini aus einem Dreiklang zusammen: Zu den Versorgungslücken durch Knappheit und gestörte Lieferketten kommen weitere pandemiebedingte Probleme. So treibt der Aufwand für Hygiene, Eingangskontrollen, Pandemiesicherheit der Mitarbeiter sowie das Vorhalten von Notfallplänen die Kosten. Drittens erschweren generelle Kostensteigerungen, etwa bei den Energiekosten oder Verbrauchsmaterialien, das Geschäft.

Eine besondere Last tragen grosse Handelsketten. Denn ihr Geschäftsmodell ist scharf kalkuliert und basiert auf Mengeneffekten – in Zeiten von Knappheit drohen die Warenströme an ihnen vorbeizufliessen. «Die Hersteller lenken bei Engpässen ihre Produkte in die profitabelsten Kanäle», erklärt Cavadini. Es gelten plötzlich Gesetze wie im Luxussegment, wo Güter einem selektiven Vertrieb unterliegen.

Hersteller bevorzugen für ihre knappen Mengen zunehmend diejenigen Vertriebskanäle, die aufgrund zusätzlicher Serviceerträge höhere Einkaufspreise zu zahlen bereit sind. Insgesamt fehlen den Herstellern somit Anreize, die knappe Ware über das Massengeschäft zu vertreiben. «Bisher haben führende Handelsketten ihre hohen Volumina immer in tiefere Einstandspreise übersetzen können. Jetzt dreht sich das Spiel – und der Produzent bedient tendenziell die weniger grossen Kunden zuerst.» Für 2022 erwartet Cavadini eine Verschärfung der Lage: «Wir müssen uns auf ein Handelsjahr einstellen, in dem die üblichen Gesetze der Marktwirtschaft zum Teil ausgehebelt werden.» Parallel läuft die Transformation in Richtung Online-Shopping weiter und viele Verbraucher halten angesichts von Zukunftssorgen das Geld beisammen. «Eine Entspannung der Lage ist für den stationären Handel nicht in Sicht.»

Über die Konsumentenbefragung

Für die Oliver Wyman-Befragung wurden insgesamt mehr als 1.900 Konsumenten in der DACH-Region zu ihren Weihnachtseinkäufen und ihren Erwartungen und Konsumplänen für 2022 befragt. Von den Befragten stammen ca. 300 aus der Schweiz sowie etwa 200 aus Österreich und 1.400 aus Deutschland. Die Befragung wurde im Dezember 2021 und im Januar 2022 durchgeführt.

 

Pressekontakt Oliver Wyman
Daniel Hardt
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